unklare bzw. chronische Kopf- und Gesichtsschmerzen
Synonym
Cephalgie bzw. Cephalgia
Kranie bzw. Kranalgie
bei Kopfschmerz vom Spannungstyp, Spannungs-KS bzw. SKS diverse Synonyma wie idiopathischer, essentieller oder auch tension type headache
Historie
Schädelbohrungen der Ägypter [1]
Apostel Paulus (Lichtblitze mit Photophobie, einseitig stechender und pulsierender Kopfschmerz, Einschränkung des Leistungsfähigkeit)
Hildegard von Bingen (ihre Visionen wahren visuelle Auren als wandernde Lichtpunkte mit schimmerndem Randsaum)
weiter berühmte Migräniker Karl Marx, Wilhelm Busch und Siegmund Freud
1939 beschreibt Horton einen Histamin-KS und 1952 beschreibt Kunkle den Cluster-KS
Häufigkeit
laut WHO ist Kopfschmerz unter den 10 häufigsten Erkrankungen mit funktioneller Behinderung [2]
die Ein-Jahres-Prävalenz von Kopfschmerzen liegt laut der Akerhus-Studie (2015) bei 70-85% [3], ist unabhängig von Schulbildung und zeigt kein Nord-Süd bzw. Ost-West-Gefälle [4]
Migräne bis 36. LJ bis zu 30%, danach weniger , deutlich mehr Frauen [4]
KS vom Spannungstyp bzw. SKS nicht vorm 10. LJ nicht, jedoch ab 15. LJ bei 25%, je höher Alter, desto mehr Tage im Monat, nur 1% bei Gefäßleiden und 0,5% bei Kopftumoren [4]
Cluster-Kopfschmerz Übergewicht bei Männern (ca. 70%), meist zwischen 28 und 30. LJ, aber auch im höheren Alter, jedoch fast nie bei Kindern [4]
Risiko
endogen
Migräne
gestörte Funktion der Thrombozyten, individuelle Verteilung diverser Rezeptoren für Serotonin (5-Hydroxytryptamin bzw. 5-HT), erniedrigte Konzentration bzw. Aktivität der Monoaminoxidase MAO und der Phenolsulfotransferase bzw. PST, erhöhter Sympathikotonus und Aktivität der Dopamin-Beta-Hydrolase bzw. DBH [4]
unklar: Allergien (Komplement, Mastzellen, Histamin, T-Zellen, IL 2, PG D2 und F2) sowie so genannte Narben und Störfelder (vgl. Literatur der Neuraltherapie sowie [3])?
Ulcus ventriculi sowie Minderwertigkeitskomplex [4]
exogen
Migräne
so genannte Triggerfaktoren wie Tyraminhaltige Nahrungsmittel wie Käse bei erniedrigter MAO sowie unklarer bzw. unbekannter Stoff in Käse, Schokolade und Rotwein bei erniedrigter PST [4]
unklare. jedoch nicht zu unterschätzende Rolle ist dem Histamin als exogener „Schub“ durch Nahrungsmittel zuzuschreiben (Vgl. Literatur von Selye, Pfeifer, Jarisch, Herxheimer usw. über Stress, Mastzellen, Histamin, Intoleranz usw.)
Stressoren bzw. Kofaktoren ( soziale Veränderungsskala nach Holmes und Rahe aus Tabelle 6.3 S.238 aus Göbel 2012) [4]
durch Streß so genannte spreading depression im Kortex mit Expression von C-fos-Antigen im Ncl. caudalis bzw. Aktivierung von Nervenzellen über N-Methyl-D- Aspartat- bzw. NMDA-Rezeptor bei Magnesium-Mangel (Vgl. Literatur über Schmerz und NMDA-Rezeptoren u.a. von Zieglsberger, Papathanasiou)
die weitere Ausbreitung gelangt über Nerven (z.B. Nn. ophthalmicus, trigeminus … ) zur A. carotis interna, Plexus choroideus und Sinus carvernosus, dann weiter zur Dura und kontralateralen Konvexität (circulus arteriosus cerebri Willisii), wonach nun die Umschaltung im zentralen Höhlengrau bzw. ventralen periaquaductalen Grau (PAG) auf efferente Fasern in trigeminalen Hirnstammkernen sowie zusätzlich auf terminiere Efferenzen in Nucleus tractus solitarius (cholinerg und peptiderg), raphe dorsalis (serotonerg), locus caeruleus (dopaminerg) u.a. erfolgt und der Schmerz selbst als visceraler Schmerz angesehen werden muß [4]
durch Parasympathikus mit Stickoxiden (NO), VIP-Familie und Peptidhistidinisoleucin (PHI) weitere neurogene Entzündungsreaktion mit Vasodilatation und Plasmaextravasation nach Lewis charakteristischer Pulsationsschmerz sowie kaskadenartige Induktion diverser Effekte (z.B. Degranulation von Mastzellen, Thrombozytenaggregation…) bei unklarer Rolle der Thrombozytenfunktion im einzelnen [4]
aufgrund unterschiedlicher Serotonin- bzw. 5-HT-Rezeptoren-Verteilung v.a. cerebral, weswegen Agonisten und Antagonisten selektiv und nicht-selektiv angreifen, sind vaskuläre Effekte (normalerweise große Gefäße: Kontriktion und kleine: Dilatation) unterschiedlich und von Gefäßanatomie bzw. -innervation, Medikamentendosis und -applikation abhängig [4]
unklare Rolle von Adrenalin-, Histamin-, Opioid- und Somastatin-Rezeptoren sowie Ggl. ciliare, sphenopalatinum und oticum sowie N. vagus sowie auslösender Reiz auf diese Ganglien
Streßtheorie (Adaptation nach Selye) mit Triggerung durch Narben, so genannten Störfeldern bzw. bio-psycho-soziale Einflüsse nach Holmes und Rahe ( Tabelle 6.3 S. 238 aus Göbel 2012) bei Dysbalance des vegetativen Nervensystems mit mangelnder Reaktion des Parasympathikus bzw. erhöhtem Sympathikotonus sowie sehr individueller Kompensation, welche durch eindimensionales Mittelwertdenken bisher ohne Konsequenz in der Forschung blieb [4]
SKS
entweder Mikroläsionen primär (je nach Kopfhaltung bzw. Aktivität einzelner oder ganzen Muskelgruppen am Kopf, Hals und Kauapparat im Büro, Auto, vorm Fernseher, im Bett, aber auch bei Angst u.a. Emotionen bei Streß) oder Aktivierung von NMDA-Rezeptoren, Mg-Mangel sowie Induktion von Neuropeptiden (Substanz P, Neurokinine) mit steriler periaxonaler Entzündungsreaktion (C-Fasern) [4]
auf jeden Fall erhöhte Muskelaktivität nur reaktiv (Störung der Mikrozirkulation?), unterschiedlicher Anteil an Typ I und II-Fasern bzw. ragged red fibers (Fibromyalgie-Syndrom oder sekundäre Mitochondriopathie?) je nach Sauerstoffangebot oder bzw. Dysrupturen der Sarkomere, wobei Muskelpathologie und Schmerz(stärke) keine 1:1 Relation, d.h. zentrale Mechanismen verantwortlich sind [4]
Tonussteigerung bzw. erhöhte elektromechanische Aktivität einzelner Fasern ohne Entspannung mit Myalgie durch weitere „Störfelder“ und Aktivierung weiterer Gamma-Motoneurone bzw. Fasern [4]
zentrale Triggerung im Rahmen Malokklusion bzw. cranio- bzw. oromandibulärer Dysfunction (Geräusche im temporomandibulären bzw. Kiefer-Gelenk, unebene Beweglichkeit des Unterkiefers, Kauschmerz, Blockierung im TMG beim Öffnen, Zahnpressen oder Knirschen, andere Parafunktionen mit Spuren an Wange, Zunge oder Lippen, siehe Checkliste oromandibuläre Dysfunktion S. 428 aus Göbel 2012), wobei Schutzreflexe mit diversen Suppressionsphasen (Göbel nennt diese seit 1993 frühe ES1 und späte ES2) in den Muskeln zur Verhütung von Verletzungen im Kauapparat zu messen sind (hier wahrscheinlich Abgrenzung des SKS von anderen Kopfschmerzen bei Anomalie von ES2 [4])
hier wirken u.a. ASS, diverse Lokalanästhetika, Pfefferminzöl, aber auch Sumatriptan während Attacke, da Bluthirnschranke nun überwindbar [4]
Werden Mikroläsionen nicht repariert greifen supraspinale Sensibilisierungen [4]
schließlich emotionale und kognitive Aspekte, wobei nur Angst und Depression vermutet werden, aber Biofeedback und Streßmanagement helfen [4]
Cluster
Vaskultis im Sinus cavernosus (auch der Aa. ophthalmica, cerebri anterior et media) nach sympathischer Reizung bei Triggerung durch Minderbelüftung der Ethmoidalzellen und Nikotinabusus bei Sinusitis bzw. lokaler Erhöhung von Histamin und Mastzellen (gel. insulin-induzierte Hypoglykämie) [4]
ragliche Aktivierung des ipsilateralen Hypothalamus (inferior posterior) ohne die des Hirnstamms (Veränderung der grauen Substanz hier, in anteriorem Cingulus und in Amygdala bei Chronizität) bei Reduktion von Beta-Endorphin aus Lymphozyten als Hinweis für Störung bei Serotonin, Dopamin und Gamma-Aminobuttersäure bzw. GABA oder Läsion im Immunsystem [4]
während Attacke erhöhte Spiegel an Calcitonine gene related peptide (CGRP) und Vasoaktives intestinales Polypeptid (VIP) nach Sauerstoff-Gabe Erniedrigung [4]
keine Erhöhung von Substanz P und nur reduzierte Aktivität der Stress-Achsen bzw. Erhöhung von Kortisol und ACTH , aber auch Prolaktin, Progesteron, Östrogen und Testosteron während Attacke, jedoch nach Gabe von Metoclopramid (MCP) Erhöhung von Wachstumshormon stärker als bei anderen Schmerzerkrankungen [4]
unklar: Cholin-Senkung in Erys (evtl. auch andere Zellen?) bzw. klinischer Effekt durch Lithium, reduzierte Aktivität der MAO der Thrombozyten bzw. Glycin-Senkung in Thrombozyten
Beta-Endorphin, Dysmorphin, N-Acetyl-Beta-Endorphin und Met-Enkephalin
Urin
nur bei Überdosierung, Über- bzw. Mißbrauch (Abusus) von Medikamenten und Intoxikation jeglicher Chemie
bei Abusus und Entzug von Drogen (leider auch nur geringe Auswahl)
im Rahmen einer Diagnostik auf HPU/KPU oder Chelat-Test auf Schwermatelle
Stuhl
auf Mikrobiom und histamin-bildende Mikroorganismen
Elektrophysiologie
im Vordergrund, mit und ohne Provokationen
Differentialdiagnose [6]
Nutzung eines Kopfschmerzkalenders
Clusterkopfschmerz und andere trigeminoautonome Kopfschmerzsyndrome (Clusterkopfschmerz (30-45 min, selten 2 h, Salve von Schmerzen, im, hinterm oder um ein Auge, ca. 2 x pro Tag, mit ciliarer Injektion, Lakrimation, Horner-Syndrom und Lidödem, Drang nach Bewegung, pos. Nitro-Test, spricht nicht auf Indometacin an, häufig sekundär) siehe Tabelle 9.3 S. 511 aus Göbel 2012, Gesichtsneuralgie (unter 2 sec, sehr variabel), short lasting unilateral neuralgiform headache attacks with conjunctival injection and tearing bzw. SUNCT-Syndrom (5 sec bis 4 min, 3 bis 200 x tgl!, Auslöser oft Kauakt, nie sekundär, spricht nicht auf Indometacin an), paroxysmale Hemiekranie bzw. PH (2-30 min, mehr als 5 x tgl., sehr stark, Schonhaltung, weniger vegetative Symptome, Indometacin spricht an), Hemicrania continua bzw. HC (mehrere Stunden, kaum Pausen, nicht so stark, mehr vegetative Symptome, Indometacin spricht an)
Migräne (Prodromi, mit und ohne Aura, Attacken, ein- bis achtmal pro Mo, 4-72 h, nicht immer einseitig, wechselnd, meist nuchal beginnend, vegetative Symptome, Triggerung durch Streß, spricht nicht auf Indometacin an)
Kopfschmerz vom Spannungstyp (max. an 15 Tagen pro Monat zwischen 30 min und 7 Tagen (0,5-128h), beidseits, nicht pulsierend, eher dumpf, keine Übelkeit, kein Erbrechen, keine Verstärkung durch körperliche Aktivität, Besserung durch Bewegung),
chronische Kopfschmerz vom Spannungstyp schwer von sekundären abzutrennen (v.a. bei Medikamentenübergebrauch, Normaldruckhydrocephalus, chronisches Subduralhämatom und nach Traumen), jedoch leicht vom cervicogenen (hier einseitig, occipitotemporal, bewegungsabhängig bei gestörter NNM bzw. ROM und Nachweis von Pathologie wie Anomalien, Traumata und Raumforderungen aller Art (Göbel 2012)
andere primäre und sekundäre bzw. nicht klassifizierbare Kopf- und Gesichtsschmerzen
transischämische Attacken (TIA), Gefäßspasmen bei Aneurysma, Karotidynie, -dissektion und Arteritiden
HWS-Syndrom
stomatognate, cranio-, oromandibuläre bzw. Kiefer-Syndrome (Kapsulitis und andere Erkrankungen des temporomandibulären Gelenkes sowie Erkrankungen der Zähne und des Zahnhalteapparates bzw. Alveolar- und Kieferknochens Maxilla und Mandibula)
TCM-Syndrome
Therapie
präventiv
Aufklärung [4,5,7,8]
Absetzen von Nikotin, Alkohol, diverser Selbstmedikation und Medikamentenübergebrauch! [4,5]
Stressmanagement, Bio-Feedback, Entspannungs- und Psychotherapie [4,5]
histaminarme u.a. Diät bei gestörtem Mikrobiom, Malassimilation bzw. Enteropathie (z.B. Intoleranzen auch auf Milchzucker (Lactose), Getreide (Gluten) usw.)
siehe Gruppensprechstunde und Patientenseminar Kopfschmerz S. 442 aus Göbel 2012
symptomatisch
bei Migräne (bei Übelkeit Antiemetika wie Metoclopramid bzw. MCP oder Dromperidon, dann erstmal NSAIDs, sonst immer noch Ergotamine und v.a. Triptane, aber nur, wenn bei Erstgabe wirksam, dann max. aller 3 d und nicht bei Artheriosklerose, nicht zu spät wegen Allodynie über Trigeminus nach 10 zu 20 Regel , d.h. max. an 10 Tagen im Monat Triptane einnehmen und an 20 Tagen keine) und Akupunktur je nach Kopfschmerztyp und Zungenbefund [7,8], ggf je nach CGRP-AK entsprechende Biologika oder Neuraltherapie lokoregional bzw. der Narben und so gennanten Störfelder je nach manualmedizinischem und osteopathischem Befund
bei SKS physikalische und rehabilitative Medizin mit u.a. Münz-Massage [3] der perikraniellen Muskulatur und des oro- bzw- craniomandibulären Syndroms bzw. Dysfunktion (CMS bzw. CMD) in Zusammenarbeit mit Stomatologie und Kiefer-Orthopädie bzw. Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (MKG) sowie Pharmako- (beim episodischen periphere Analgetika und Muskelpräparate sowie beim chronischen v.a. Antidepressiva und Serotonin bzw. 5-HT-reuptake Hemmer), Phytotherapie einschl. Pfefferminzöl (siehe Gruppensprechstunde und Patientenseminar Kopfschmerz S. 442 aus Göbel 2012) sowie Akupunktur je nach Kopfschmerztyp und Zungenbefund [7,8] oder Neuraltherapie lokoregional bzw. der Narben und so gennanten Störfelder je nach manualmedizinischem und osteopathischem Befund
beim Cluster Aufklärung (z.B. clusterkopf.de), normobarer und hyperbarer Sauerstoff, Sumatriptan, therapeutische Lokalanästhesie der nn. occipitales, der Ganglien und so genannten Narben und Störfelder (ggf sono-gestätzt)
Literatur
Waltari M (1997) Sinuhe der Ägypter. 34. Aufl. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach
Leonardi M, Steiner TJ, Scher AT, Lipton RB (2005) The global burden of migraine. J Headache Pain, 6: 429-50
Göbel H (2012) Die Kopfschmerzen. bearb. u. aktual. Aufl. Springer, Berlin, Heidelberg
May A (2006) Diagnostik und moderne Therapie der Migräne. Dt. Ärzteblatt 103 (17): 1157-65
Evers S, Frese A, Marziniak M (2006) Differentialdiagnose von Kopfschmerzen. Dt. Ärzteblatt 103 (45): 3040-7
Diener HC, Pfaffenrath V, Limmroth V (2005) Therapie der Migräneattacke und Migräneprophylaxe. Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Thieme, Stuttgart: 494-508