Dr. med. Uwe Günter biologische Orthopädie – Stress-Medizin – individuelle Entzündungsdiagnostik und Neuraltherapie Privatpraxis Privat- und Kassenärztliche Praxis Thera-Klinik

Histamin-Intoleranz, Histaminose, Histadelie bzw. Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS)

Definition

Unter einer Histamin-Intoleranz, Histaminose bzw. Histadelie versteht man ein Missverhältnis zwischen vermehrter Aufnahme und Bildung von Histamin im Rahmen der Verdauung bzw. Entzündungsprozesse bzw. vermindertem Abbau aufgrund von Mangel und Inaktivität entsprechender Enzyme.

Historie

Zwischen 1907 und 1911 wurde Histamin erstmals isoliert und synthetisiert. [1,2,3] 1932 wird es als Mediator für die Allergie Typ 1 identifiziert. [2,3]

1957 erhielt Bovet den Nobelpreis für die Postulierung und Hemmung am H1-Rezeptor,

1966 postulieren Ash und Schild den H2-Rezeptor sowie die Wirkung am Magen.

1983 entdecken Schwartz et al. den H3-Rezepptor am Nervensystem (bei wikipedia wird hier Arrang angegeben).

Forschungen konzentrieren sich auf den H4-Rezeptor bzw. die Therapie der Neurodermitis, Leukämie und Demenz. [4]

biochemische Grundlagen

Strukturformel von Histamin

Bildung

Histamin bzw. 2-[4-imidazolyl]ethylamin ist ein biogenes Amin und wird mit Hilfe der L-Histidin-Decarboxylase (HDC) und Vitamin B6 aus Histidin in Mastzellen, Basophilen, Thrombozyten, Haut-, Magen- und Nervenzellen gebildet und in Vesikeln gespeichert. Die höchsten Konzentrationen finden sich im Hypothalamus (wikipedia). Es ist ein Botenstoff und wird u.a. bei allergischen Reaktionen sowie Entzündungen freigesetzt. Als second messenger wirken cAMP und cGMP.

Wirkung

Je nach immunologischen Prozessen wird Histamin aus Speichern mobilisiert. Über entsprechende Rezeptoren kommt es in den Zielzellen zu unterschiedlichsten Reaktionen.

  1. Typ H1 (Gq-Protein-gekoppelt) v.a. in Bronchien, Gehirn, Uterus, Ovar und Nebenniere (Wirkung über Aktivierung der Phospholipase C und NO: Vasodilatation in Arteriolen also Blutdruckerniedrigung, aber auch Vasokontraktion in o.g. Organen und Freisetzung von Katecholaminen im Nebennierenmark; generell: Weckreaktion und Erbrechen)
  2. Typ H2 (Gs-Protein-gekoppelt) v.a. in Magen, aber auch Herz und Muskeln (Wirkung über Aktivierung der Adenylatzyklase: Steigerung der Magensaftsekretion und Hyperacidität, aber auch Tachycardie, Hypertonus)
  3. Typ H3 (Gi/o-Protein-gekoppelt) v.a. in Gehirn (Wirkung über Hemmung der Adenylatzyklase und Aktivierung der MAP-Kinase bzw.  Phosphatidylinositol 3 Kinase: Hemmung der Noradrenalin-Freisetzung)
  4. Typ H4 (Gi/o-Protein-gekoppelt) v.a. im Immunsystem (Wirkung über Hemmung der Adenylatzyklase: Aktivierung der Chemotaxis von Eosinophilen und Mastzellen, Hemmung der Antikörpersynthese und TH1-Antwort zugunsten TH2-Antwort, Stimulation von IFNy [3,4]

Abbau

Histamin wird peripher bzw. extrazellulär durch die Di-Amin-Oxidase (DAO) zu Imidazolacetaldehyd und weiter durch die Aldehyd-De-Hydrogenase (ADH) zu Imidazolacetat oder intrazellulär (v.a. im ZNS) durch die Histamin-N-Methyl-Transferase (HNMT) zu N-Methyl-Histamin bzw. weiter über die Mono-Amin-Oxidase B (MAOB) zu N-Methyl-Imidazolacetat abgebaut. [2] Als Koenzyme fungieren Vitamin B6, aber auch Ascorbat (Vitamin C) und Kupfer. [1]

Ätiopathogenese

Die Intoleranz ist selten genetisch bedingt. Polymorphismen werden bei gastrointestinalen Erkrankungen diskutiert. Durch Kreuzvernetzung von IgE nach Allergenbindung (siehe Literatur über Allergie Typ1) auf dem Rezeptor der Mastzelle kommt es zu deren Degranulation und Histaminfreisetzung. [1,2,3]

Wie schon in den 60er Jahren vom Stressforscher Hans Selye beschrieben, sind die Mastzellen nicht nur die Zellen, welche zahlreiche Granula aufweisen (Paul Ehrlich vermute „gemästete“ Zellen mit Fettgranula), sondern die darin enthalten Substanzen als Mediatoren bei Stressreaktion sezerniert. Die bedeutendste Substanz ist neben dem Heparin das Histamin, einem Botenstoff bei allergischen Reaktion vom Typ1. Die Mastzelle kommt v.a. in der Submucose, aber auch in der Haut vor und ist auch bei zahlreichen Entzündungsreaktionen (histaminerger Entzündungsweg) beteiligt.

Die vermehrte Zufuhr von Histamin kann zu einer leichten (>100mg) Reaktion oder einer schweren (>1000mg) Intoxikation führen. Als externe Quelle gelten Nahrungsmitteln, welche durch bakterielle Fermentierung Histamin enthalten (z.B. Fisch der Familie der scombridae (Gehalt je nach Lagerungstemperatur und –zeit von 0,1 bis 2500mg/kg!), Rotweine (bis 13mg/l), Käse (bis 2mg/kg), Rohwurst usw.). Medikamente (u.a. Acetylcystein, ASS, Barbiturate, Cephalosporine, Rheuma-, Schmerz- und Muskelmittel) sowie Nahrungsmittel, welche einen erhöhten Anteil an anderen biogenen Aminen wie Serotonin (v.a. Walnüsse), Dopamin (Banane), Tyramin (Käse, Kakao, Himbeere), Phenylethylamin (Kakao), Putrescin (Zitrusfrüchte, Tomate, Weizen), Cadaverin (Weizen), Spermin und Spermidin (Birne, Hülsenfrüchte, Weizen) u.a. Liberatoren wie Lectin (Erdbeere) enthalten, gelten als Provokatoren. [1]

Histamin kann jedoch auch vermehrt in o.g. Zellen oder Bakterien gebildet, gespeichert und sezerniert werden. Ein endogenes Risiko besteht dann bei einem Mangel an Enzymen und Koenzymen in Hepatozyten und Enterozyten, einer vermehrter Bildung aus Histidin und einer vermehrten Freisetzung von Histamin durch andere Stressoren (Komplement C3a und C5a, Substanz P, TNFα, IL1, Phospholipase, Leukotriene, Prostaglandine, Adenosin u.a. alpha-adrenerge Stimulationen). [1,2] So treten bakterielle biogene Amine bei Gingivitis und Parodontitis vermehrt auf. [5]

Die Prävalenz der klassischen Intoleranz liegt bei 1%. Sie kommt zu 80% bei Frauen zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr und nicht in der Schwangerschaft (wegen der 500- bis 1000fach vermehrten Bildung von DAO vor allem im Uterus), jedoch gehäuft bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen vor. [1,2] Zur Verschlechterung kommt es bei  vorhandener Mastozytose, Allergie bzw. Neurodermitis sowie Enteritis bzw. Enteropathie, Hepatitis bzw. Hepatopathie, leaky gut usw.

Eine Sonderform bzw. ein zukünftig einzubeziehender Faktor stellt die Entität des Mast-Zell-Aktivierungssyndrom (MCAS) dar. Diese seltene Prädisposition führt u.a. zur vermehrten Sekretion von Tryptase sowie anderen schwer zu diagnostizierenden Mediatoren und der damit verbundenen systemischen Entzündungsreaktion mit der klinischen Sonderform der Mastozytose, eine Hauterkrankung.

Symptomatik bzw. Klinik

Je nach individuell-genetisch festgelegter und stressadaptiv sezernierter Rezeptor-Verteilung kommt es je nach Auslöser akut zu einer Anaphylaxie oder Allergie-Reaktion (siehe entsprechende Literatur der Notfallmedizin) und subakut bzw. rezidivierend zu orthostatischen Dysregulationen bzw. arteriellen Hypotonie und Herzrhythmusstörungen.

Weiter sind Nesselsucht (urticaria), Flush, Juckreiz (pruritus), Schwindel (vertigo), Übelkeit (nausea), Erbrechen (vomitus/emesis), Kopfschmerz (cephalgia), Durchfall (diarrhoe), Blähungen (meteorismus), Krämpfe (crampi) einschl. Dysmenorrhoe, aber auch Asthma, Dyspnoe, nasale Obstruktion, Fließschnupfen und gehäuftes Niesen zu beobachten. [1]

Nach Jarisch kann es zusätzlich noch zum „weichen Stuhl“ und Konjuktivitis [1] und nach Pfeiffer zu einer psychischen Symptomatik, gestörtem Schlaf, vermehrter Tränen- und Speichelfluss kommen. [6]

Göbel erwähnt Histamin als endogenes und exogenes Risiko bei Migräne und Cluster-Kopfschmerz, wobei letztgenannter auch als trigemino-autonomer Schmerz bezeichnet wird. Dazu gehören auch das SUNCT-Syndrom (short lasting unilateral neuralgiform headache attacks with conjunctival injection and tearing) u.a. Neuralgien. [7]

Im eigenen Patientengut sind auch das vermehrte Zähne-Knirschen, -Beißen bzw. -Pressen (Bruxismus), v.a. nachts während der parasympathischen Entgiftungsphase als Hinweis für ein leaky gut durch Intoleranz, Dysbiose, stressbedingte Übersäuerung und falschen Essverhalten zu beobachten (Syndrom des Wiederkäuers). Das histaminerge oder allergische Gelenk scheint eine wichtige Differentialdiagnose bei einer akuten (..itis fugax), rezidivierenden („over use“) oder chronischen (Arthritis) Schwellung mit einer Synovi(al)itis zu sein.

Die Aktivierung der Mastzelle , das so genannte Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS), steht seit den Arbeiten von Selye im Mittelpunkt der Stressforschung und erfuhr durch die Wirkung der H2-Blocker bei Symptomen durch das Corona-Virus bzw. während einer COVID-Erkrankung und deren Folgen wie Post-COVID, Long-COVID [8] sowie Müdigkeits-, Erschöpfungs- und Chronic Fatigue Syndrom (CFS) an Bedeutung. Hierbei sind neben den bekannten Hautveränderung (siehe Literatur der Mastzytose) und den Symptomaen der o.g. Intoleranz auch Symptome der Veränderungen des Bindegewebes bzw. der extrazellulären Matrix, wie sie bei Erkrankungen wie Fibromyalgie, chronischen Schmerzen, Schwermetallbelastung bzw. Vergiftungen vorkommen (Vgl auch hier die Literatur).

Diagnostik

Bei der Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese) kommt es v.a. auf die Zahnanamnese, Schleimhaut-, Nahrungs- und Medikamentenanamnese sowie gynäkologischen Anamnese an. Zum Status gehören die Inspektion des Zahnfleisches, die Palpation des Atlas bzw. der Kopfgelenke, welche durch Blockierung bzw. Fehlstellung auffallen. Weiter helfen die Nackenreflex- bzw. -druckpunkte nach Adler und Langer sowie Gleichgewichtstests aus HNO-ärztlicher und neurologischer Sicht.

Die Basis stellt die Laboruntersuchung dar, welche im eigenen Patientengut sehr häufig auffällig ist. Neben der B- und T-Zell-Linie mit erhöhten Werten an TNFα, IL1,2,4,6,8,10 und INFγ (bzw. IP-10) ist es oft die Mastzell-Linie mit erhöhten Histamin-Werten (Heparin-Blut: 10-75µg/l, im EDTA-Blut: <0,8µg/l), welchen eine latente Infektion („silent inflammation„) anzeigt.

So ist nicht die die so gennante Linksverschiebung, die erhöhte Blutsenkugnsgeschwindigkeit, das Fieber, ja auch nicht das C-reaktive Protein der sicherste und schon gar nicht häufigste Hinweis auf eine unklare bzw. chronische Entzündung der Schleimhäute, sondern das Histamin!

Im Serum gelingt auch der Nachweis der Aktivität der DAO (Normwert >10U/ml, Intoleranz ab <3U/ml). Parallel können je nach Anamnese und Verlauf der Ausschluss von IgE gegen histaminreiche Nahrungsmittel, die Bestimmung von Vitamin B6, Vitamin C (ist sehr aufwendig) und Kupfer hilfreich sein. [3]

Hier finden sich auch erhöhte Werte an Leukotrienen und Methylhistamin im Urin. In Abstrichen (einschl. der Gingiva-Taschen) und Stuhluntersuchungen können so genannte Histaminwerte bzw. -bildner gefunden werden.

Beim MCAS kann die Tryptase erhöht und das Kupfer erniedrigt (eine Leistung der GKV) sein.

Zusammenhänge zu serologischen Nachweisen von anderen biogenen Aminen, Thioether bzw. Mercaptanen aus in vitro stimulierten Lymphozyten sind Gegenstand der Forschung u.a. bei avitalen Zähnen (www.inflammatio.de).

Therapie

Im Notfall helfen Antihistaminika schneller als Kortison!

In der symptomatischen Therapie unterscheidet man je nach (bio)chemischer Struktur der Histamin-Rezeptoren sowie Medikamente in so genannte H1-Blocker, H2-Blocker, mittlerweile auch schon H3-/H4-Blocker sowie Mastzellstabilisatoren. Je nach aktueller Zulassung verwendet man die H1-Blocker im Falle von akuteren Erkrankungen der Schleimhäute (v.a. von luftgefüllten Organen) mit allergischer Potenz und die H2-Blocker von Verdauungsschleimhäuten mit „Gelenkpotenz“. Die H3/4-Blocker sind noch in der Erprobung bei bestimmten zentralen Auslösern und die Stabilisatoren bei gemischten bzw. therapieresistenten oder unklaren Schleimhaut-, Haut- u.a. Lymphschwellungen und bei dem Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS).

Eine kausale Therapie gelingt durch eine konsequente Therapie einer Allergie (z.B. Karrenz oder Diät), dem Zähneputzen bzw. Zahnfleichpflege (z.B. Ölziehen mit Omega-3-Säure), Antibiose einer bakteriellen Entzündung, Prä- und Probiose einer Dysbiose etc. sowie Erkrankung der Enterozyten und Hepatozyten (Abbau von Nikotin und Stress).

Bei histaminarmer Diät sollte der orthomolekularen Medizin mit Zufuhr von DAO (Daosin®), Kupfer, Vitamin B6 bzw. Vitamin C je nach Labor, kinesiologischer Austestung und klinischem Verlauf mehr Bedeutung bemessen werden.

Adjuvante Therapien der o.g. rezidivierenden Symptome gelingen durch Neuraltherapie (u.a. Ganglien mit vorwiegend parasympathischer Umschaltung durch Acetylcholin), Ohr-Akupunktur (u.a. Histamin-Punkt?), Atlas- bzw. Manualtherapie (je nach Endontologie, Zahnprothetik, Zahnersatz bzw. Bißkorrektur), Antivertiginosa (z.B. Histamin-Blocker, Homöopathika), Dermatopika, Antiasthmatika, Antidiarrhotika (immer in Kombination mit Pro- und Präbiotika), Ozon-Therapie usw.

Beim rezidivierenden Erguss bzw. chronischen Synovi(al)itis kann man als off label use Antihistaminika der Gruppe I oder II oral anbieten.

Prophylaxe, Verlauf und Komplikationen

Neben der Zahnpflege und dem Verzehr von Frischkost ist die Neigung zum Histamin-Anstieg von Stress, Störung des Mikrobioms, der „Leberleistung“, Dauermedikation und der histaminarmen Ernährung abhängig. Es können neben der „laufenden“ Nase, Kopfschmerzen, abdominelle und psychische Symptome sowie wahrscheinlich am häufigsten Übelkeit, Gleichgewichtsstörungen und die so genannte Reise- und Seekrankheit immer wieder auftreten. [1] Diese Menschen stehen gern mit beiden Füßen auf der Erde, da sie Bootfahrten, Segeln, „rückwärtsfahren“, Karussell bzw. Schaukeln und Fliegen generell schlecht tolerieren und einen horizontalen Fixpunkt „benötigen“.

Literatur

  1. Jarisch R (2004) Histamin-Intoleranz, Histamin und Seekrankheit. 2. Aufl. Thieme, Stuttgart, NewYork
  2. Mainitz L, Bieber T, Noval N (2006) Die verschiedenen Gesichter der Histaminintoleranz. Dt. Ärztbl.103/51-52: A3477-83
  3. von Baehr V (2012) Histaminintoleranz – Pathogenese, Diagnose und Therapie, Vortrag
  4. Sander K, Stark H (2011) Neue Generationen von Antihistaminika. Pharmazeutische Zeitung online
  5. Plötz, SE (2013) Der Einfluss von Histamin auf die Expression von CCL20 und IL-8 in gingivalen Fibroblasten. Diss, Uni Bonn
  6. Pfeiffer CC (1986) Nährstoff-Therapie bei psychischen Störungen. Haug, Heidelberg
  7. Göbel H (2012) Die Kopfschmerzen. 3. bearb. u. aktual. Aufl. Springer
  8. persönliche Mitteilung von Nicolas Stamer